Kolumbien

Erfolgreicher Weg aus Hunger und Elend

Fastenaktion

Seit über 50 Jahren leidet Kolumbien unter Gewalt, Entführungen und Zwangsumsiedlungen. Zudem hat sich eine problematische Landwirtschaft etabliert, die Wälder und Böden zerstört. Vicaría del Sur, eine Partnerorganisation von Fastenaktion, gibt Gegensteuer. Sie unterstützt Gemeinschaften mit agrarökologischen Techniken und bei der Verteidigung ihrer Rechte. Inzwischen können sie die Früchte ihrer Bemühungen ernten.

Wir befinden uns im Departement Caquetá in Südwest-Kolumbien, einer Region, die sich von den Hängen der Cordillera Andina bis ins Flachland zieht und als Tor zum Amazonasgebiet gilt. Die Natur ist üppig und vielfältig, es gibt reichlich Wasser. Die Familien bewirtschaften das Land und züchten Tiere für den Eigenbedarf.

Doch das paradiesische Bild trügt: Wie in ganz Kolumbien ist die Bevölkerung hier seit über 50 Jahren Zeuge oder Opfer von Attentaten, Entführungen, Einberufungen ins Militär und Zwangsumsiedlungen. 800'000 Ermordete und fast acht Millionen Binnenflüchtlinge sind offiziell registriert.

Alle sind in irgendeiner Form davon betroffen, haben Schreckliches erlebt oder geliebte Menschen verloren. Es gibt bis heute viele offene Wunden.

Wegen der bewaffneten Konflikte wurden in den letzten Jahrzehnten Tausende aus anderen Regionen Kolumbiens vertrieben und in das Departement Caquetá umgesiedelt. Dort sind sie in der Viehwirtschaft (Ganadería) beschäftigt. Sie müssen sich als Hirt:innen um das Vieh von Grossgrundbesitzer:innen kümmern.

Diese Art Viehzucht führt nicht nur zum Verlust von viel Wald und zu Bodenerosion, sondern auch zur Verarmung der Familien, die für ihre Arbeit als Hirt:innen zu wenig verdienen und so zu wenig Geld und Zeit haben, sich selbst zu versorgen. Hinzu kommt ein nicht nachhaltiges, auf Gewinnmaximierung basierendes Agrarsystem mit dem Einsatz von schädlichen Chemikalien. Die damit beschäftigten Menschen führen ein Leben in Hunger und Elend, obwohl sie in einer so reichen und fruchtbaren Umgebung leben.

Die ländliche Bevölkerung Kolumbiens lebt vielerorts in grosser Armut und leidet unter den Folgen von Rohstoffabbau und der Privatisierung des Saatguts. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft ist gefährdet, ebenso der Zugang zu genügend Nahrungsmitteln und Wasserquellen.

Im Zentrum der Arbeit von Fastenaktion stehen marginalisierte Bevölkerungsgruppen wie Bauernfamilien, Indigene, Afroamerikaner:innen. Dank unserer Ausbildung in umweltfreundlichen, agrarökologischen Methoden verbessern sich die Ernten und somit die Ernährung der kleinbäuerlichen Familien. Gleichzeitig schützen sie das lokale Ökosystem und können mit dem Verkauf von Ernteüberschüssen ihre Einkommen verbessern.

Vicaría del Sur (VISUR) ist eine Partnerorganisation von Fastenaktion und bietet eine Alternative zur problematischen Viehwirtschaft. Sie begleitet in sechs Gemeinden (Morelia, Valparaiso, Albania, Curillo, San Jose del Frangua und Solita) Einzelpersonen, Familien und lokale Organisationen.

Finca Amazónica nennt VISUR ihr Alternativmodell, bei dem Land, Tiere und Menschen nicht ausgebeutet werden. Es ist eine Landwirtschaft, die im Einklang mit der Umwelt steht, die widerstandsfähiger gegenüber der Klimaerwärmung ist und den Familien eine bessere Zukunft sichert.

Das Modell berücksichtigt das ökologische und kulturelle Erbe des Amazonasgebiets und richtet sich nach den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen. So können sie von den Erträgen der Natur leben, ohne sie dabei zu schädigen.

Zum Projekt gehört auch die Pflege der kulturellen Wurzeln, der Identität und des Glaubens der Menschen im Amazonasgebiet. VISUR lehnt sich dabei an Laudato Si' an, die Umweltenzyklika von Papst Franziskus. Die Organisation fördert die agrarökologische Produktion und das ländliche Saatgut ebenso wie die Wiederherstellung von Wasserquellen, Wäldern und anderen Lebensräumen. Zudem unterstützt sie die Beteiligung von Frauen und Bauernfamilien an Entscheidungsprozessen sowie kommunalen, regionalen und nationalen Initiativen.

«Mit dem Kompost, den wir produzieren, ernähren wir den Obstgarten, und der wiederum ernährt uns», erzählen Marleny Yucoma und Israel Truijllo aus Vereda San Isidoro, die schon länger am Projekt von VISUR teilnehmen. «Und selbst wenn es finanziell mal knapp wird, haben wir unser Gemüse und unseren Obstgarten. Dieser befindet sich direkt neben dem Haus, so dass wir keine langen Wege zurücklegen müssen.

Die Zeit, die wir dadurch gewinnen, verbringen wir mit der Pflege und der Neuanpflanzung. Einen Teil des Saatguts, das wir produzieren, stellen wir für den Tausch mit anderen Fincas zur Verfügung. Das alles erfordert viel harte Arbeit und Durchhaltevermögen. Deshalb helfen auch die Kinder mit, wenn die Schule ihnen Zeit lässt.»

Am Anfang der Umstrukturierung eines Betriebs steht die Motivation der Familien. Ein technisches Team von VISUR hilft ihnen bei der Analyse der aktuellen Situation. Berücksichtigt werden dabei die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte, die Umweltbedingungen, die biologische Beschaffenheit der Landparzellen und die sozioökonomische Situation der Familie. Dieser aktuelle Zustand wird auf einer Karte festgehalten.

Das VISUR-Team nimmt dabei eine respektvolle und einfühlsame Rolle ein. Es gibt den Familien ihr Fachwissen weiter und motiviert sie, Techniken und Werkzeuge zu nutzen, die der amazonischen Umwelt entsprechen.

All dies führt zu einer «Visión», die erneut auf einer Karte dargestellt wird. Dieses Ziel soll die Familie über einen Zeitraum von etwa drei Jahren erreichen, begleitet von einem Umsetzungsplan, der mit VISUR gemeinsam erarbeitet wird.

Der Planungsprozess ist dynamisch, experimentell und geprägt durch die gemeinsamen Aktivitäten mit mehreren Familien. Dies hilft den Beteiligten, ihre Fähigkeiten zu stärken und die Besonderheiten ihrer eigenen Situation zu erkennen. Denn jede Familie und jeder Betrieb ist einzigartig, aber keiner ist eine Insel.

Die beteiligten Höfe werden dabei zu Beobachtungs- und Lernräumen für andere Bauernfamilien. Die Umwandlung einer Finca beinhaltet persönliche, soziale, kulturelle und landwirtschaftliche Veränderungen. Dies geschieht Schritt für Schritt und mit viel Beharrlichkeit.

«Der Anbau von Nahrungsmitteln über mehrere Ernteperioden in der richtigen Reihenfolge ist keine leichte Aufgabe. Und schon gar nicht auf solch ruinierten Böden, wie wir sie bei uns lange hatten», sagt Alfonso Chacón, ein Bauer aus Vereda Versalles. «Wenn man es gewohnt ist, jede Gemüsesorte getrennt zu pflanzen, erfordert die Aussaat mehrerer Arten in unmittelbarer Nähe zueinander eine Änderung der Denkweise. Zuerst glaubt man, das geht nicht... und staunt dann, wie gut und erfolgreich die verschiedenen Sorten gedeihen.»

«Einige Pflanzen helfen anderen, und in weniger als vier Monaten kann man bereits essen, was man gesät hat: Mais, Hirse, Kürbis, Tomaten, Zwiebeln. Während sich die Familie von dieser Produktion ernährt, wachsen Bananen, Maniok, Ananas, Zuckerrohr, und schon nach einem Jahr kann man auch diese Früchte geniessen. In der Zwischenzeit werden die hohen Bäume immer dichter, und so übernimmt jede Pflanze ihren Part, wie in einem Orchester.»

Die beteiligten Familien erzielen sehr schnell reiche Ernten. Der Verkauf von Überschüssen auf lokalen Märkten wird ebenfalls im Projekt gefördert – und der Gewinn deckt auch gleich die Kosten für Gesundheit, Ausbildung und Infrastruktur.

So erweist sich die Finca Amazónica als ein organischer und nachhaltiger Entwicklungsprozess, der die wirtschaftlichen Grundlagen der Bauernfamilien im Süden Kolumbiens stärkt.

«Der Bauernmarkt ist ein guter Ort, um zu verkaufen, was wir ganz ohne Chemikalien produzieren», sagt Johana Fernandez aus der Gemeinde San José del Fragua. «Und er ist auch ein Ort, um Ideen, Sorgen und Freuden auszutauschen. Es mag einfacher erscheinen, unsere Produkte an Zwischenhändler:innen zu verkaufen, aber hier ist das Einkommen besser. Die Käufer:innen sehen die gute Qualität und kommen immer wieder zurück.»

Der Veränderungsprozess und seine Ergebnisse werden in regelmässigen Abständen überprüft und bewertet. Jede Familie hält fest, was sie gelernt hat, welche Schwierigkeiten es gab und was die Arbeit positiv oder negativ beeinflusst hat. Auf dieser Grundlage entscheidet sie über allfällige Anpassungen. Diese regelmässige Überprüfung garantiert längerfristig gute Ergebnisse.

All das braucht Ausdauer. Aber die Menschen freuen sich sehr, wenn dank ein paar weniger Massnahmen auf Feldern, wo vorher nur Gras stand, plötzlich ganz viel Nützliches wächst. Und das erst noch erstaunlich schnell.

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Über Fastenaktion

Die Vision von Fastenaktion ist eine gerechte Welt ohne Hunger. Nahrung ist ein Menschenrecht und dafür stehen wir jeden Tag ein! In 14 Ländern des globalen Südens verbessern wir gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen das Leben von Millionen Menschen. Im Zentrum unseres Handelns stehen immer die Menschen mit ihren Bedürfnissen.

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Impressum

Herausgeber: Fastenaktion Schweiz, Luzern
Redaktion: Daria Lepori, Ralf Kaminski
Bilder: Daria Lepori, Jesús Abad, Fotoarchiv Fastenaktion
Onlinegestaltung: Ralf Kaminski