Traditionell ist nur das Saatgut
Unterwegs im Eastern Cape von Südafrika und zu Besuch bei Frauen des Bäuerinnennetzwerks Rural Women Assembly
In der Ökumenischen Kampagne 2020 von Fastenopfer, Brot für alle und Partner sein, steht Saatgut im Mittelpunkt. Saatgut ist die Grundlage des Lebens, denn aus ihm wächst Nahrung. Und Nahrung ist ein elementares Bedürfnis der Menschheit. Die Kampagne soll aufzeigen, wie wichtig die Bewahrung von traditionellem Wissen und regionalem Saatgut für die Ernährung der Menschheit ist. Denn neue Sortenschutzgesetze bedrohen dieses lokale Saatgut. Eine Landwirtschaft, die auf natürlichem, regional angepasstem Saatgut baut, ist zukunftsfähig und ist so eine der Antworten auf die Bedrohungen durch den Klimawandel. Darum ist ein Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft nötig. Doch für eine bäuerliche Landwirtschaft braucht es den Zugang zu und die Kontrolle über Ressourcen, wozu grundlegend auch Saatgut gehört.
«Wir sind ein Netzwerk, wir sind eine Basisorganisation und wir unterstützen uns gegenseitig.» Das sagen die Frauen, die sich in Berlin, in der Region Eastern Cape in Südafrika, zu einer ihrer regelmässigen Sitzungen getroffen haben. «Und wir sind alle Sisters. Wir sprechen uns nicht mit unseren Namen an, wir sind Sisters. Doch Männer, die unsere Interessen teilen, sind in unserer Gruppe herzlich willkommen», ergänzt eine der Sisters lachend.
Hören Sie ins Meeting hinein
Die acht Frauen sind Teil des Netzwerks Rural Women Assembly (RWA), einer Organisation, die vor zehn Jahren in Limpopo, Südafrika, gegründet wurde mit dem Ziel, sowohl die eigene Basis wie auch die Zivilgesellschaft zu stärken. Die eigene Basis, das sind Bäuerinnen aus mittlerweile neun Ländern des südlichen Afrikas. Sie setzen sich ein für Landrechtreformen, Ernährungssouveränität, für das Recht auf eigenes Saatgut, und dafür, die gemeinsamen Güter der Privatisierung zu entziehen, um sie frei zu nutzen. Die Frauen von RWA vertreten die Haltung, dass nur mit nachhaltigem Anbau etwas gegen den Klimawandel unternommen werden kann und wenn das Recht auf Nahrung eingehalten wird.
Eastern Cape
Das Ostkap – oder eben Eastern Cape – liegt im Südosten des Landes und ist die wohl ärmste Region in Südafrika. Mit ihrer Fläche von fast 170 000 km² ist sie viermal so gross wie die Schweiz und hat gemäss der letzten Volkszählung von 2011 6,6 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner. 85 Prozent von ihnen gehören den Xhosa an. Die Provinz Ostkap besteht erst seit 1994, hervorgegangen ist sie aus dem Zusammenschluss des Südostens der Kapprovinz mit den ehemaligen Homelands Ciskei und Transkei. Die Hauptstadt ist Bhisho, die beiden grössten Städte sind East London und Port Elizabeth. Der wohl berühmteste Bürger der Region ist der ehemalige südafrikanische Präsident Nelson Mandela. Das Ostkap ist – im Gegensatz zu anderen Regionen Südafrikas – arm an Bodenschätzen. Über weite Strecken finden sich dafür unberührte Landschaften mit einer ausserordentlichen Vielfalt an morphologischen Erscheinungen und Ökosystemen und einer abwechslungsreichen Vegetation, die von der Halbwüste Karoo über den Knysnawald zu Berggebieten bis über 2000 Meter Höhe und fruchtbarem Ackerland reicht.
Zurück zu den Wurzeln
Stutterheim
Thobeka Mapukata ist Mitglied bei RWA und arbeitet als Gemeindeentwicklerin in der Umgebung von Stutterheim. Die Frauen des RWA-Netzwerkes pflanzen ausschliesslich mit agrarökologischen Methoden an und nutzen eigenes Saatgut. Ganz ohne chemischen Dünger und Pestizide ziehen sie ihr Gemüse und ernten mehr, als sie für den Eigenbedarf brauchen. Das Netzwerk unterstützt sie darin, ihre Stärken zu entwickeln, ihre eigenen Entscheide zu fällen, damit sie auch unabhängig von den Männern für ihre Familien sorgen können. Die Frauen erlernen die gesetzlichen Grundlagen, um damit für ihr Land zu kämpfen. Sie schärfen ihre Stimme und erheben sie, um ihre (bäuerlichen) Rechte einzufordern.
Regelmässig treffen sich Vertreterinnen des ganzen Netzwerks, das mittlerweile aus Frauen von Südafrika, Mosambik, Simbabwe, Namibia, Malawi, Sambia, Swasiland, Lesotho und Botswana besteht. Nebst dem gegenseitigen Austausch, zu dem auch der Saatguttausch gehört, erfahren sie mehr über die Zusammenhänge der Klimaerwärmung und wie sie mit angepasstem, traditionellem Saatgut die Ernährung für ihre Familien dennoch sicherstellen können. Sie lernen mehr über gesunde Ernährung, und dass gerade alte Saatgutsorten meist am widerstandsfähigsten sind und sich daraus schmackhafte Mahlzeiten zubereiten lassen. Dabei geht es immer darum, die kulturellen Besonderheiten zu pflegen und sich selbstbestimmt in Gruppen von 12 bis 16 Personen gegenseitig zu unterstützen.
«Es macht mich sehr stolz, dass ich jetzt, in meinem hohen Alter sagen kann: Hey Leute, wir sind vernetzt mit Frauen in ganz Afrika. Wir sind ein Netzwerk und Teil eines grossen Ganzen.»
Kleinbäuerinnen wissen, was sie brauchen
Mercia Andrews ist seit vielen Jahren Co-Direktorin der Fastenopfer-Partnerorganisation Trust for Community Outreach and Education (TCOE), eines Zusammenschlusses für Öffentlichkeitsarbeit und Bildung, zu der auch das Bäuerinnennetzwerk Rural Women Assembly gehört. Die Aktivistin ist auf einer Früchteplantage im Westen Südafrikas als Kind von Landarbeitenden aufgewachsen. Aufgrund von Zwangsumsiedlungen während der Apartheid musste sie nach Kapstadt umziehen und arbeitete dort einige Jahre als Lehrerin. Ihr Netzwerk lobbyiert für den Schutz des bäuerlichen Saatguts, alternative Landwirtschaftsmodelle, Biodiversität und Klimagerechtigkeit. Was treibt sie an?
«In Afrika wird die Strategie der Grünen Revolution verfolgt. Die Regierung will uns damit weismachen, dass Afrika nicht genügend Nahrung für die eigene Bevölkerung produzieren könne. Aus diesem Grund seien wir – so der Narrativ – auf modifiziertes Saatgut, Dünger und Pestizide angewiesen. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, die eigenes lokales, traditionelles Saatgut haben sowie eigene lokale und gemeinschaftliche Saatgutbanken und ein landwirtschaftlich organisiertes System unterhalten, als Hindernis angesehen werden. In einigen Regionen des südlichen Afrikas ist das Teilen von Saatgut untereinander sogar gesetzlich verboten. Das ist ein Versuch der Saatgutmultis, Kleinbäuerinnen und -bauern dazu zu zwingen, industrialisiertes Saatgut einzukaufen.
Während der Nahrungskrise 2007/2008 hat sich die Grüne Revolution in Afrika stark verbreitet. Damals haben grosse Unternehmen die Geschichte in Umlauf gebracht, dass Afrika sich nicht selbst ernähren könne: Es ist ein Versuch, die Kleinbauern und -bäuerinnen dazu zu bringen, in Landwirtschaftsmaschinen zu investieren, um grössere Felder bearbeiten zu können, oder in angepasstes Saatgut und den dazugehörigen Dünger. Doch das führt zu Verschuldung.
Wir haben eine breite Auswahl an sehr alten Sorten. Werden aber das Saatgut und die traditionelle Art der Landwirtschaft angegriffen, wird auch unser Ernährungssystem angegriffen. Unsere erste Verteidigungsmassnahme besteht deshalb darin, weiterhin lokales Saatgut anzubauen und Pflanzenschulen und Saatgutbanken zu schaffen. Unsere Arbeit besteht auch im Verbreiten von Informationen und dem Erstellen von Saatgutdokumentation. In einem zweiten Schritt fördern wir die kleinbäuerliche Landwirtschaft. Wir führen Agrarökologie als Anbaumodell für Bäuerinnen und Bauern ein, da es sehr gut für das Klima ist, zudem kosteneffektiv und den Bauernfamilien ermöglicht, ihren Aufwand auf einem tiefen Niveau zu halten. Der dritte Aspekt ist der Anspruch auf Nahrungsmittelsouveränität. Wir fördern unsere eigenen Ernährungssysteme und kritisieren Fast-Food-Systeme.
TCOE fokussiert auf den Aufbau einer Bewegung. Ich denke, die Kleinbäuerinnen und -bauern wissen am besten, was sie brauchen. Unsere Rolle ist die der Verstärkerin dieser Stimme.
Wir zeigen die Probleme auf und wecken ein kritisches Bewusstsein. Die Menschen sollen wissen, worum es bei der Grünen Revolution geht oder was GMO (gentechnisch veränderte Organismen) sind. Wir suchen gemeinsam nach Alternativen. Wir versuchen, Brücken zu schlagen zwischen Bewegungen, die mit Agrarökologie, mit verschiedenen Saatgutsystemen oder mit kleinbäuerlicher Landwirtschaft experimentieren. Von ihnen können wir lernen und über Alternativen in der Landwirtschaft diskutieren.»
Worum geht es bei der Grünen Revolution?
Die sogenannte Grüne Revolution hatte ihre Anfänge in den 1940er Jahren. Zu diesem Zeitpunkt importierte Mexiko mehr als die Hälfte seines Weizenbedarfs. Die Rockefeller Stiftung arbeitete mit der mexikanischen Regierung zusammen mit dem Ziel, die Produktion von Weizen, Mais und Bohnen zu steigern. Nur zehn Jahre später waren ertragreiche Halbzwergweizensorten Realität und machten Mexiko zum Selbstversorger. Ab den 1960er Jahren wurden sogenannte Hochleistungs- oder Hochertragssorten entwickelt und in Ländern des Südens verbreitet. Es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis der Hunger in der Welt besiegt wäre. Doch um die Nahrungsmittelproduktion zu steigern, brauchte es grössere Anbauflächen und mehrere Ernten pro Jahr. Das wiederum machte Dünger- und Pestizideinsätze notwendig. Um genügend Anbaufläche zu haben, wurden Kleinbauern von ihren Feldern vertrieben, die Grundwasservorräte übermässig angezapft, der Boden durch die übermässigen Düngungen verunreinigt. Zudem hat die Artenvielfalt massiv darunter gelitten. Zahlen belegen ausserdem, dass ohne die Grüne Revolution die landwirtschaftliche Nutzfläche in den Ländern des globalen Südens nicht um drei bis fünf Prozent geschrumpft wäre. Kleinbäuerinnen und -bauern bepflanzen weltweit gerade einmal 30 Prozent des Landes und verbrauchen dazu nur 20 Prozent des Wassers, sie produzieren aber 60 bis 70 Prozent der Nahrungsmittel.
Gemeinschaftsgarten und eigenes Saatgut
Die Frauengruppe in Intambanana betreibt seit fünf Jahren ihren Gemeinschaftsgarten. Sie säen eigenes Saatgut und der Dünger kommt von den frei herumlaufenden Hühnern. Doch nicht nur auf dem grossen, gemeinschaftlich betriebenen Feld wachsen Karotten, Krautstiel, verschiedene Salate, Kohl, Mais und Bohnen. Zusätzlich betreibt jede der Frauen noch einen kleinen Garten vor dem Haus. Die gemeinsam erwirtschafteten Überschüsse können sie verkaufen und sich so ein Einkommen schaffen. Die kleine Siedlung besteht aus einfachen Häusern, es gibt einen gemeinsamen Wasseranschluss und sogar Strom. Wie oft in den Netzwerkgruppen des Rural Women Assembly setzen die Frauen nicht nur auf Gemüse, sondern stellen auch Handarbeiten her, die sie an lokalen Märkten verkaufen. In Intambanana sind das wärmende Decken, Taschen, Puppen und perlenverzierte Gegenstände. Die Frauen sind gut organisiert und haben einen Plan entwickelt, wer an welchem Tag mit der Gartenarbeit an der Reihe ist. Die beiden Männer, die auch zur Gruppe gehören, arbeiten während der Woche auswärts, übernehmen den Gartendienst aber am Wochenende. Dass Männer die Frauen tatkräftig unterstützen, ist nicht selbstverständlich. Fakt ist, dass Frauen in ländlichen Regionen meist von Armut betroffen sind. In Südafrika besitzen Frauen weniger als zwei Prozent Land, sind aber für Familie und Haushalt verantwortlich und müssen oft noch eine zusätzliche Arbeit annehmen, um über die Runden zu kommen. Das bedeutet für viele 16 Stunden tägliche Arbeitszeit, mehr als für fast jeden Mann.
Landgesetz in Südafrika
Zwei Drittel des Landes gehören auch heute noch, 25 Jahre nach Ende der Apartheid, der weissen Bevölkerung, die knapp acht Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht. Die Aufteilung des Landes geht zurück auf den Land Act von 1913 und den Development Trust Act von 1936. Doch Landenteignung im grossen Stil geschah bereits in der Kolonialzeit. Die Gesetze von 1913 und 1936 bestimmen bis heute die Regelungen der Landwirtschaftsstrukturen. Die Lebensbedingungen der schwarzen Menschen in den ländlichen, agrarwirtschaftlich wenig entwickelten Zonen sind ärmlich bis prekär. Davon betroffen sind ca. 12 Millionen Menschen. Für einen grossen Teil von ihnen bilden sozialstaatliche Transferzahlungen das einzige regelmässige Einkommen.
Die Hoffnung, dass nach Ende der Apartheid eine Landreform unrechtmässig enteignetes Land zurückgeben würde, zerschlug sich. Denn die damalige Regierung verfolgte ein Liberalisierungsprogramm. Die investorenfreundliche ANC-Regierung trug mit ihrem GEAR-Programm (Growth, Employment and Redistribution Plan) von 1996 massgeblich zu dieser Lage bei. Dieses Programm wurde zusammen mit Experten der Weltbank (World Bank), der Südafrikanischen Zentralbank (South African Reserve Bank) sowie der Entwicklungsbank für das südliche Afrika (Development Bank of Southern Africa) erarbeitet. Dessen Ziele umfassen Massnahmen zur sogenannten Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, zum Rückbau der Ein- und Ausfuhrzölle, für einen freieren Kapitalfluss, steuerliche Vergünstigungen für Investitionen und eine Senkung der staatlichen Kreditaufnahme. Mögliche Landreformprogramme, die der schwarzen Bevölkerung reale Verbesserungen gebracht hätten, gingen in diesem politischen Konzept vergessen. Erst im Jahr 2000 begannen die Betroffenen sich mit Demonstrationen und Initiativen dagegen zu wehren. Denn zwischen 1994 und 2000 wurden nur 2,3 Prozent der agrarwirtschaftlich bedeutsamen Landfläche Südafrikas zugunsten einer Harmonisierung der Landeigentumsstrukturen zurückgegeben, wobei nur ein geringer Teil davon an neue schwarze Eigentümer ging. Die Zahl der einkommens- und obdachlosen Personen im ländlichen Raum stieg stetig an. Erst im Februar 2018 beschloss die Nationalversammlung, eine Kommission einzusetzen, um die Verfassungsänderung vorzubereiten, die nötig wäre, um die unrechtmässig erfolgten Landenteignungen rückgängig zu machen. Sowohl als ANC-Präsident als auch als Staatspräsident sprach sich Cyril Ramaphosa nach vorherigen Konsultationen mit traditionellen Führern verschiedener Gruppen für die Notwendigkeit einer Landreform aus, die nach der ihr zugrunde liegenden Sichtweise ein Ausgleich für Enteignungen war, die beispielsweise auf Grundlage des Land Act und des Group Areas Act während der Kolonial- und Apartheidperiode geschah. Er bezeichnet es als Chance, dass junge Menschen im Agrarsektor eine berufliche Zukunft finden können. Bei einer Arbeitslosigkeit von 29 Prozent eine dringend notwendige Initiative. Widerstand gegen dieses Vorhaben kam vor allem von der grössten Oppositionsfraktion in der Nationalversammlung, vom Democratic-Alliance-Vorsitzenden Mmusi Maimane, der Ramaphosa aufforderte, gegenwärtige Eigentumsrechte zu schützen. Kritische südafrikanische Stimmen sahen in Ramaphosas Vorstoss jedoch den programmatischen Auftakt, um bei den Parlamentswahlen 2019 seine Regierungsposition zu verteidigen.
Wie Fastenopfer und Brot für alle arbeiten
Mit über 350 Projekten in 14 Ländern des globalen Südens engagieren sich Fastenopfer und Brot für alle für eine gerechtere Welt. Unabhängig von Herkunft, Geschlecht und Religion werden Menschen dabei unterstützt, sich gemeinsam und mit eigener Kraft aus Hunger, Armut und Ungerechtigkeit zu befreien – Hand in Hand mit einer umweltfreundlichen und nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen und angepasst an die lokalen Gegebenheiten und die eigene Kultur. Partner vor Ort sind ausschliesslich lokale Organisationen. Deren sorgfältige Auswahl und eine kontinuierliche intensive Begleitung, garantieren bestmögliche Unterstützung für die lokale Bevölkerung. Agrar- und Handelspolitik setzen weltweit auf Wachstum und damit auf die industrielle Produktion von Agrarrohstoffen wie Palmöl oder Soja und Hightech Saatgut. Dadurch verlieren kleinbäuerliche Familien zusehends ihre Lebensgrundlagen. Aktuell produzieren Kleinbäuerinnen und -bauern rund 70 Prozent der Nahrung weltweit. Dieser Anteil sinkt: Konzerne, Banken, Versicherungen und Staaten haben sich auf der ganzen Welt 47,7 Mio. Hektaren Land für Grossbauprojekte angeeignet, die nicht weiter für den Anbau von Nahrungsmitteln benutzt werden, sondern für Tierfutter, Fertigprodukte und Kosmetika. Internationale Handelsabkommen bringen viele Länder dazu, Landwirtschaftspolitik zu betreiben, die nur den Grosskonzernen dient. Leidtragende sind Bäuerinnen und Bauern, die ihr selbst gezogenes, seit Jahrhunderten produziertes Saatgut nicht mehr verwenden dürfen, sondern jedes Jahr neu teures Saatgut kaufen müssen.
Das Gemeinschaftszentrum für alte Menschen in Sinombomu
Das Eastern Cape besteht aus vielen kleinen Dörfern und Gemeinschaften. Zwar gibt es befestigte Strassen, doch Arbeitsplätze sind rar. Junge Menschen verlassen die ländliche Region und suchen ihr Glück in den grossen Städten oder in den Minenregionen. Zurück bleiben die älteren, auf sich gestellt und ohne Unterstützung. Pelokazi Dlikilili aus Dimbaza bringt es auf den Punkt: «Wir Landfrauen werden nicht ernst genommen. Es gibt kein Gesetz, das uns unterstützt, viele leben von Sozialhilfe und die reicht nirgendwo hin.» So hat sie das Schicksal ihrer Dorfgemeinschaft, vornehmlich ältere Menschen, mit der Unterstützung von RWA selbst in die Hand genommen. Seit 2013 ist sie Community Manager und setzt sich dafür ein, dass die Menschen der kleinen Dorfgemeinschaft nicht alleine gelassen werden und es ihnen etwas besser geht.
«Wir Landfrauen werden nicht ernst genommen. Es gibt kein Gesetz das uns unterstützt, viele leben von Sozialhilfe und die reicht nirgendwo hin.»
Die Familienkooperative
Nombasa Mfenge und ihr Ehemann Mfanelo lebten mit ihren vier Kindern in Kapstadt, er war Polizist und sie hat Tupperware verkauft. Doch eigentlich sei das Angestellt sein nichts als Zeitverschwendung. Besser sei es, für sich selbst zu arbeiten, lacht Nombasa Mfenge. Als die zwei älteren Söhne nach dem Studium keine Arbeit finden konnten, das Ehepaar aber nicht über die finanziellen Mittel verfügte, um eine weiterführende Ausbildung zu zahlen, überredete sie die Familie, zurück aufs Land zu ziehen. Auch die Tochter wird, wenn sie ihr Buchhaltungspraktikum abgeschlossen hat, zur Familienkooperative stossen. «Denn», so sagt sie, «hier auf dem Land haben wir die Möglichkeit, etwas anzupflanzen, uns selbst zu versorgen, die Jungen können mithelfen und sind beschäftigt.» Gemeinsam haben sie die Familienkooperative gegründet und eingetragen, denn so können sie auch ihr Land sichern: Es ist als ihr Besitz im Grundbuchamt eingetragen. Ihr Mann hat den Garten vorbereitet: «Denn mit dem Spaten kann ich nicht umgehen», und er habe das auch so schön gemacht, bekräftigt sie. Mittlerweile wächst im Gemüsegarten ausschliesslich Gemüse aus selbstgezüchtetem Saatgut.
Die Familie Mfenge züchtet noch viele andere Saatgutsorten. Sie probieren aus, was gut wächst, variieren, und die Überschüsse werden verkauft. In der letzten Saison war das beispielsweise eine Lastwagenladung Melonen, die ihnen von einem Händler abgekauft wurde.
Die Söhne helfen regelmässig mit und machen sich nützlich. Die Familienkooperative läuft. Alle wissen, was zu tun ist und unterstützen sich gegenseitig. Und wenn – wie an diesem Tag – der Jüngste nicht Lust auf das von Nombasa gekochte Essen hat, muss er schon selber schauen, was bei ihm auf den Teller kommt.
Nombasa Mfenge hat mit ihrer Familie einen Weg eingeschlagen, der abseits der grossen Städte liegt, in einem Landstrich Südafrikas, in dem die Armut überwiegt. Doch dadurch, dass sie ihr eigenes Saatgut züchten, das auf das sich verändernde Klima und die damit einhergehenden Schwierigkeiten abgestimmt ist, haben sie für sich eine Zukunft geschaffen.
Disclaimer
Diese Multimedia-Reportage basiert auf einer Recherche-Reise in die Region Eastern Cape im Juni 2019, auf Berichten von Rural Women Assembly und Trust for Community Outreach and Education (TCOE), der südafrikanischen Partnerorganisationen von Fastenopfer.
Impressum
Text: Colette Kalt, Fastenopfer
Bilder, Videos und Onlineumsetzung: Reto Steffen